Leseprobe
Rising Phoenix: Saving Christmas
Prolog
Bruce
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Endlich! Himmlische Ruhe. Sorgenfreies Durchatmen.
Ich sitze auf der rückwärtigen Terrasse meiner Hütte, genauer gesagt auf der untersten Stufe der Treppe, die direkt zum Strand führt. Die Aussicht ist fantastisch, ich habe einen freien Blick auf den Ozean. Ein leichter Wind weht mir ins Gesicht und ich schließe genießerisch die Augen. Der Sand unter meinen Füßen ist warm und das Rauschen der Wellen hat eine beruhigende Wirkung auf mich.
Eigentlich bin ich nicht so der Zen-Typ, aber einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, oder?
Ja, hier werde ich mich erholen können von den Strapazen, die quasi mein ständiger Begleiter sind, seit ich seinerzeit diesen unglückseligen Bodyguard-Job angenommen habe. Es klang zu gut, um wahr zu sein, und die Bezahlung erst …
Der Ruf der drei Rising-Phoenix-Jungs war mir zwar nicht unbekannt, aber dass es so schlimm werden würde, hätte ich nicht gedacht. Manchmal ertappe ich mich schon dabei, dass ich mein Haar, ähnlich wie ihr Bandmanager Ash, auf graue Strähnen oder kahle Stellen checke.
Was Deacon geritten hat, mir diesen Meditationsurlaub zu spendieren, bleibt sein Geheimnis. Er meinte, ich würde regelmäßig meditieren, was an sich stimmt, andernfalls wäre ich wahrscheinlich bereits vor einem Jahr durchgedreht.
Doch ein mehrwöchiger Urlaub, in dem es um nichts Anderes geht?
Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob er mich ärgern oder mir wirklich was Gutes tun wollte. Egal! Alles, was etliche Kilometer zwischen mich und den letzten Überlebenden des ehemaligen Terror-Trios bringt, ist positiv.
Meine nächste Meditationsstunde ist erst am Abend, ich beschließe deswegen, ein kleines Nickerchen zu machen. Die subtropischen Temperaturen hier schaffen mich, ich bin das eher milde – beziehungsweise um diese Jahreszeit arschkalte – Klima Kanadas gewohnt. Nach kurzem Überlegen entscheide ich mich gegen die Sonnenliege auf der Terrasse und für das klimatisierte Schlafzimmer.
Gerade als ich dabei bin, mein Hemd aufzuknöpfen, lässt mich eine Stimme vor meinem Feriendomizil stutzen.
»… tuuuus. Wo … st... duuuuu?!«
Ich halte inne und horche angestrengt, aber das Rauschen der Wellen verschluckt einen Großteil der Rufe. Welcher Arsch rennt denn in dieser Idylle dermaßen unsensibel laut herum?
Das ungute Gefühl in meinem Bauch ignoriere ich.
Nein.
Das kann nicht sein.
Nicht einmal meine manchmal völlig schmerzfreien Auftraggeber würden sich hier wie die Axt im Walde aufführen. Dieser Ort ist ein Paradies. Den fast schon ätzend perfekten Frieden, den jedes Sandkorn verströmt, respektiert man.
Außer natürlich … »Brutuuuus!«
Scheiße, das kann ich nicht länger ignorieren, ich nehme mal stark an, dass es hier keinen zweiten Gast gibt, der einen derart verfickten Spitznamen hat. Dieser klebt an mir, seit ich für diesen Sack Flöhe beziehungsweise Rockstars arbeite.
Brutus.
Gott sei Dank wissen diese Idioten nicht, wie ich mit Vornamen heiße. Sie denken, der wäre Bruce, doch weit gefehlt, das ist lediglich mein Nachname. Wie ich bewerten soll, warum sie sich nie darüber gewundert haben, dass ich ihnen nur als Bruce vorgestellt wurde … keine Ahnung. Wahrscheinlich war es für sie gar nicht ungewöhnlich, in diesem Business sind ja nahezu alle in irgendeiner Form etwas abgedreht. Wieso also nicht auch ein Bodyguard mit bloß einem Namen wie ein Pop- oder Rockstar?
»Brutus, ich weiß, dass du da drinnen bist!«, bölkt Saint Davenport, dessen Hühnerarsch ich eigentlich in Toronto vermutet hätte. »Komm raus und sag dem Manager, wer ich bin und dass mein Erscheinen hier okay ist.«
Stimmt, Deacon hat was von strengen Regeln gefaselt, die diesen Wellnesstempel erst zu dem machen, was er ist.
Was will der Rising-Phoenix-Frontmann hier beziehungsweise von mir?
Ist das irgendein beschissener Scherz der Teufelsbrut?
Genervt laufe ich zur Tür und reiße diese auf. Das Bild, das sich mir bietet, ist so seltsam, dass ich mir auf die Zunge beißen muss, um nicht zu lachen.
Saint steht, umrahmt von zwei Mitarbeitern der Security, etwas abseits da und blickt den Manager, der direkt vor meiner Luxushütte wartet, angefressen an. »Er will mir nicht glauben, dass ich … ich bin. Und erst recht nicht, dass du mich erwartest.«
»Ich bin schockiert«, entgegne ich trocken und die Augenbrauen des Hotelmanagers vor mir schnellen hoch. »Aber dieser Mann sagt leider die Wahrheit, was seine Persona betrifft und obwohl ich ihn definitiv nicht erwartet habe, können sie ihn mir übergeben. Sollte er Ärger machen, ertränke ich ihn im Meer und lasse seine Überreste von Haien fressen.« Das scheint sowohl Manager als auch die beiden Sicherheitsleute zu überzeugen, wenn ich das leichte Kopfnicken richtig deute.
Saint schnaubt empört. »Unfassbar … als wäre ich ein Schwerverbrecher. Was ist das hier, hm? Eine Urlaubsanlage oder eher …« Er verstummt, als ich ihn warnend ansehe.
»Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten, Mr. Davenport … bei Ihnen entschuldige ich mich natürlich ebenfalls, Mr. Bruce.« Bei der Anrede des Managers zucke ich leicht zusammen, Saint ist jedoch so angepisst, dass er anscheinend nichts bemerkt. Bloß keine schlafenden Hunde wecken. »Doch wir haben uns die Sicherheit unserer oft prominenten Gäste auf die Fahne geschrieben, diese hat für uns oberste Priorität.«
Ich grinse, dass Saint für den Hotelangestellten ein No Name ist, wird diesem garantiert stinken. Eine kleine Entschädigung für all die Male, die dieser Teufel mich jede Menge Nerven gekostet hat.
»Schon gut, Sie machen nur Ihren Job«, beruhige ich den Mann.
»Ja klar, fast gar nicht übereifrig. Fehlt nur noch, dass man mir Handschellen anlegt«, grummelt Saint.
Mit weiteren wortreichen Entschuldigungen ziehen sich die drei Mitarbeiter der Ferienanlage zurück und ich fokussiere mich auf den Rising-Phoenix-Frontmann.
»Was soll dieser Überfall? Hat mir Deacon den Urlaub nicht geschenkt, damit ich mich mal von euch erhole?« Zugegeben, ein Teil von mir mag diese Verrückten inzwischen mehr, als gut für mich ist. Diese durchgeknallte Patchwork-Superstar-Großfamilie adoptiert einen schneller, als man es erwartet und urplötzlich wird ein Job nebensächlich, weil man sich auch privat um diese Chaostruppe sorgt. Trotzdem wäre eine Verschnaufpause, die länger als gefühlt fünf Minuten dauert, nicht schlecht gewesen. »Saint, was soll das? Wieso kreuzt du unangemeldet hier auf?«
Er rauft sich die Haare. »Das erkläre ich dir auf dem Weg zum Flughafen, wir haben eine halbe Stunde. Also pack deinen Kram zusammen und check aus.«
Ich verschränke in Reaktion auf seinen Befehl lediglich die Arme vor der Brust und rühre mich nicht. Einen Scheiß werde ich tun.
»Dad ist weg, untergetaucht oder wie auch immer man das nennen will, okay?! Er möchte dieses Jahr kein Weihnachten feiern, ist das zu glauben?! Ich brauche deine Skills, um ihn aufzuspüren. Nächster Stopp ist bei Deacon. Danach geht’s erstmal zurück nach Toronto, von dort aus planen wir anschließend unsere Suche.«
Im ersten Moment freue ich mich, dass er anscheinend vorhat, Debbie den Urlaub ebenfalls zu verderben, dann jedoch kommt der Inhalt seiner Worte bei mir an.
Wie bitte?
Logan Davenport ist verschwunden?
Er will auf das Fest der Liebe verzichten?!
Ich verstehe bloß noch Bahnhof.
Der Mann betreibt praktisch die Santa-Claus-Zweigstelle, seine Weihnachtsliebe ist legendär, die geschmückte Villa, die er mit seiner Ehefrau Elle bewohnt, ebenfalls. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es etwas gibt, was ihn davon abhält, seinem alljährlichen Weihnachtsirrsinn zu frönen. Er fiebert direkt nach dem letzten Weihnachtsfest schon wieder auf das nächste hin und jetzt soll er weg sein?
Das passt nicht zu ihm.
Irgendetwas stimmt da nicht, ich bin mir bloß nicht sicher, was genau.
Ist das irgendein Trick?
Eine verspätete Racheaktion für den strengen Bodyguard?
Eigentlich wäre der Aufwand dafür zu hoch, aber …
»Verarschst du mich? Dein Vater soll untergetaucht sein? Zu seiner liebsten Jahreszeit? Und was heißt das, ist er etwa ohne Elle auf Tauchstation gegangen?«
Dass Logan ohne seine große Liebe abtrünnig geworden sein soll, geht ebenso wenig in meinen Schädel. Prüfend betrachte ich Saint, der mit einem Mal verzweifelt wirkt.
»Darüber würde ich keine Witze machen, niemals. Ja, er ist einfach abgehauen und das Haus ist übrigens nicht mal mehr dekoriert. Er hat alles wieder abgenommen, hörst du? Mom ist allerdings okay damit, das alles ist total seltsam und ehrlich gesagt verstehe ich die Welt nicht mehr. So etwas beschließt man doch nicht aus einer Laune heraus … schon gar nicht, wenn man so süchtig nach Weihnachten ist.«
Nicht nur er versteht die Welt nicht mehr, mir geht es in diesem Augenblick nicht anders.
Logan ist weg und Elle stört es nicht?
Er hat die Weihnachtsdeko wieder entfernt? Allein den crazy Rentierschlitten nebst überdimensionalem Weihnachtsmann vom Dach zu holen, muss doch Ewigkeiten in Anspruch genommen haben?! Ganz zu schweigen davon, wie viel Zeit es vorher gebraucht hat, das Monstrum hinauf zu bringen.
Mir wird klar, dass Saints forscher Auftritt hier nur Fassade war, um zu überspielen, wie es wirklich in ihm aussieht. Mit Verzögerung begreife ich, was das für ihn bedeuten muss. Er ist mit Logans Weihnachtsverrücktheit aufgewachsen, hat jahrzehntelang miterlebt, wie sein Vater deswegen jedes Jahr freidreht. Er sorgt sich um ihn, das sehe ich jetzt ganz deutlich, für ihn muss das der Super-GAU sein.
Für mich ist es das irgendwie auch.
Die Davenport-Villa ist das erste Mal seit Jahrzehnten dunkel.
Logan hat Weihnachten abgesagt.