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Leseprobe Love & Ink: Dante

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Kapitel 1

Dante

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Dieser Tag endet so beschissen, wie er begonnen hat.

 

Sämtliche meiner heutigen Kunden im Walker Ink waren von der übelsten Sorte. Neurotisch, besserwisserisch und so pussyhaft schmerzempfindlich, dass ich mich tatsächlich gefragt habe, warum zum Teufel sie ein Tattoo wollen. Dass das Stechen nun einmal nicht schmerzfrei ist und je nach gewählter Körperpartie unterschiedlich von der Intensität her sein kann, sollte doch grundsätzlich klar sein.

 

Nach meiner Schicht war ich eigentlich zum Klettern verabredet, aber natürlich ist auch daraus nichts geworden, denn mein Kumpel ist ausgefallen. Als ich dann einfach allein los wollte, ist mein Motorrad mitten in Kanadas Pampa liegen geblieben und ich musste stundenlang auf den Abschleppdienst warten.

 

Zu guter Letzt wollte ich mit einer platonischen Freundin etwas trinken gehen. Der Abend war zunächst ganz nett – bis sie mir völlig unerwartet am Hals hing und mit mir die Nacht verbringen wollte. Freundschaft Plus kann durchaus Vorzüge haben, aber ich kenne sie und bezweifle, dass so etwas ihr Ding ist. Also wollte ich das so höflich und behutsam wie möglich gleich im Keim ersticken und habe selbstverständlich komplett versagt. Ich verziehe das Gesicht bei der Erinnerung daran, was für eine hässliche und vor allem peinliche Szene sie mir in der Bar gemacht hat, ehe sie beleidigt abgerauscht ist. Dass diese Freundschaft damit Geschichte ist, muss ich nicht erwähnen, oder?

 

Kopfschüttelnd steuere ich auf meinen am Straßenrand geparkten Wagen zu, als ich drei Meter vor mir Grace, Piper und Rachel entdecke. Doch wirklich meine Aufmerksamkeit und mein Interesse wecken nicht sie, sondern die mir unbekannte Vierte in dieser kleinen Gruppe, die zunehmend gestresst wirkend in ihrer Handtasche wühlt. Als Grace etwas zu ihr sagt und die Fremde aufsieht, fühle ich mich für einen Moment, als hätte mich jemand mit einer Abrissbirne aus meiner Umlaufbahn geworfen und direkt in ihren Bann gezogen.

 

Sie hat eine niedliche Stupsnase, volle Lippen und hohe Wangenknochen. Ihre hellbraunen Haare haben einen leichten Rotstich, sie gehen ihr knapp über die Schultern und sind im unteren Drittel gelockt. Und ihre Figur, scheiße, für die bräuchte sie meiner Meinung nach definitiv einen Waffenschein. Schlank, aber mit verführerisch geschwungenen Hüften und Brüsten, die perfekt in meine Hände passen würden.

 

Ich kann nicht verstehen, worüber Grace und sie reden, doch was ich wahrnehme, ist die sich steigernde Verzweiflung der hübschen Unbekannten. Langsam setze ich mich wieder in Bewegung und laufe auf die Frauengruppe zu.

 

»Nein, ich habe Wert darauf gelegt, dass niemand außer mir Zugang zu meinem Appartement hat«, höre ich sie sagen, als ich nah genug dran bin. Fuck, sie hat wunderschöne, hellblau, beinahe grau erscheinende Augen, in denen gerade jedoch ein ordentlicher Schuss Sorge liegt. »Ein Schlüsseldienst kostet um die Zeit ein Vermögen, ich …«

 

»Grace?«, spreche ich die jüngere Schwester des Rising-Phoenix-Drummers Jesse Davenport an. »Piper … Rachel, was machst du denn in Toronto?!«

 

Eigentlich habe ich sie nach wie vor in Europa vermutet, wo sie studiert, um dem Trubel und der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu entgehen. Als Tochter des Bassisten einer der seit Jahrzehnten angesagtesten Rockbands Kanadas ist es praktisch unmöglich, hier unter dem Radar zu fliegen. Noch schlimmer ist es mit Sicherheit geworden, seitdem die Söhne Gravitys ihren Vätern mit Rising Phoenix nacheifern und auf dem besten Wege sind, sich ebenfalls einen Platz im Rockstarolymp zu reservieren.

 

Ich gehe weiter auf sie zu, schließe die drei nacheinander in die Arme, ihre mir nicht bekannte Freundin betrachte ich neugierig und interessiert. »Und du bist?«

 

»Eine Freundin von Rachel«, antwortet sie, während sie auf ihre Schuhspitzen schaut. »Sophia«, schiebt sie hinterher.

 

Gewinnend lächele ich. »Freut mich, Sophia, Freundin von Rachel. Ich bin Dante.«

 

»Der Risikosüchtige mit der Todessehnsucht und dem Bindungsproblem?«, platzt es aus ihr heraus.

 

Ihre Wangen werden rot, ich hingegen lache schallend.

 

»Wer hat dir denn den Bullshit erzählt und vor allem in welchem Zusammenhang?« Prüfend blicke ich Grace, Piper und Rachel nacheinander an. »Ich würde mich eher als lebensbejahend mit einem gewissen Freiheitsdrang bezeichnen.«

 

Sophia schüttelt vielsagend den Kopf, ihre Haare fliegen dabei hin und her. »Schon klar … wie auch immer, ich rufe dann jetzt wohl den Schlüsseldienst, ich …«

 

»Du hast dich ausgesperrt?«, unterbreche ich sie. »In welchem Stockwerk wohnst du? Existiert hintenheraus ein Balkon?«

 

Sie blinzelt verdattert. »Ähm, im vierten, und ja, es gibt einen, wieso?«

 

Ich setze mich in Bewegung und gehe um das Gebäude herum, ohne überhaupt auf ihre Nachfrage zu reagieren. Da nur die mittleren Wohnungen in den jeweiligen Etagen einen Balkon haben, erübrigt es sich, zu fragen, welche ihre ist.

 

»Hey, was hast du vor?!« Sophia folgt mir, direkt hinter ihr befinden sich ihre drei Freundinnen. »Du kannst doch nicht einfach da hinaufklettern, bist du lebensmüde?! Was ist, wenn du abstürzt, ich möchte nicht für deinen Tod verantwortlich sein! Außerdem … was willst du tun, wenn du oben angekommen bist? Die Balkontür einschlagen?!«

 

Sie bombardiert mich mit Fragen, ihre warme Stimme klingt dabei so aufgeregt und empört gleichzeitig, dass ich schmunzeln muss.

 

»Entspann dich, solche Türen bekommt man ganz leicht auf«, antworte ich lässig, drücke ihr meine Lederjacke in die Hand und fange an, mich über den ersten Balkon hinauf zum zweiten zu hangeln. So komme ich heute wenigstens noch zu einer kleinen Klettereinheit, obwohl diese nicht wirklich eine Herausforderung für mich ist.

 

»Meine sicherlich nicht! Jedenfalls hoffe ich das, sonst hat der Typ vom Sicherheitsunternehmen ein ernstes Problem.« Als ich nach unten sehe, erwische ich Sophia dabei, wie sie hilflos zu Grace, Piper und Rachel blickt. »Sagt doch auch mal was!«

 

Sie zucken bloß geschlossen mit den Schultern und ich lache in mich hinein, ehe ich meinen Weg nach oben fortsetze. Wenig später schwinge ich mich über die Brüstung ihres Balkons, wie schon von mir erwartet, ist die Tür ein Witz. Leichter macht es mir zugegebenermaßen die Tatsache, dass Sophia sie auf Kipp gestellt hat, ganz so schnell wäre ich sonst nicht in ihrer Wohnung. Vor einigen Jahren während meiner, so nennt Dad sie jedenfalls immer, besonders rebellischen Phase habe ich gewisse Kenntnisse erworben, die sich auch heute noch manchmal als nützlich erweisen.

 

Ich trete an den Rand der Balkonbrüstung und rufe den Frauen zu, dass ich drin bin und sie nach vorn gehen sollen, damit ich sie ins Haus lassen kann. Sophia starrt zu mir herauf, was genau in ihr vorgeht, kann ich aus dieser Entfernung jedoch nicht erkennen. Grace packt sie schließlich am Unterarm und zieht sie mit sich, woraufhin ich mich in das an den Balkon angrenzende Wohnzimmer begebe. Sophias Einrichtungsstil ist frauentypisch, ein L-förmiges Sofa, auf dem viele Kissen und ein paar Decken verteilt sind, einige Grünpflanzen, ein Regal, gefüllt mit Büchern und verschiedenem Dekozeug.

 

An der Wand gegenüber der Couch befindet sich ein Flatscreen-Fernseher, auf dem Sideboard darunter entdecke ich diverse Bilderrahmen, zum Anschauen der Fotos habe ich allerdings keine Zeit. Hastig trete ich in den Flur, orientiere mich kurz und stutze, als mein Blick auf die Haustür fällt.

 

Scharf ziehe ich Luft durch die Zähne, ich kann mich nicht erinnern, dass ich in einer Privatwohnung jemals zuvor eine derartige Anzahl von Sicherheitsvorkehrungen gesehen habe. Mehrere Schlösser und in der Mitte ein Stahlriegel, wie man es aus Filmen kennt.

 

Seltsam.

 

Noch seltsamer finde ich in dem Zusammenhang, dass sie ihren Schlüssel vergessen und ihre Balkontür auf Kipp gestellt hat, wenn auch mit Kippschutz. Sicherheitsfanatiker achten auf so etwas eigentlich.

 

Als es klingelt, zucke ich zusammen, dann grinse ich, anscheinend wird Sophia ungeduldig. Rasch betätige ich den Summer und lasse die vier Frauen ins Haus. Es dauert nicht lange, da höre ich das charakteristische Pling des Fahrstuhls, kurz darauf die Stimmen der vier, schließlich kommen sie in mein Sichtfeld.

 

»So ungern ich das sage, aber zumindest hinsichtlich des Balkons und der Sicherung der Balkontür hat dich das Security-Unternehmen verarscht. Der Kippschutz ist ein Witz und ich bin mir sicher, ist jemand entsprechend geübt, bricht er auch die geschlossene Tür mit Leichtigkeit auf.« Sophia sieht mich an, als wolle sie mich umbringen. »Erschieß nicht den Boten«, setze ich hinterher und hebe die Hände. Die leicht unnatürliche Blässe, die mir erst jetzt auffällt, lässt mich besorgt die Stirn runzeln. »Alles okay?« Mir ist klar, dass es irgendeinen Grund dafür geben muss, dass sie ihre Wohnungstür gesichert hat, als würde sie hier Goldbarren oder Ähnliches lagern. »Sophia?«

 

Rachel neben ihr mustert sie eindringlich und spricht sie schließlich ebenfalls an. »Süße?«

 

Sophia blinzelt mehrmals, ihr scheint bewusst zu werden, dass sie uns noch eine Antwort schuldig ist. »Ähm … ja, natürlich ist alles okay, ich habe nur gerade überlegt, wen vom Sicherheitsunternehmen ich zuerst in der Luft zerfetze.«

 

Das kommt so schnell, dass ich überzeugt bin, sie tischt uns die erstbeste Ausrede aus, die ihr eingefallen ist.

 

»Ich kenne jemanden, der im Security-Bereich tätig ist, den könnte ich bitten, sich deine Wohnung mal anzusehen, wenn du das möchtest«, biete ich ihr an. Keine Ahnung, ob Bruce so tief in der Materie steckt, aber sollte er nicht helfen können, weiß er sicher, an wen sich Sophia wenden kann. Der seit Jahren für Rising Phoenix arbeitende Bodyguard wäre jedenfalls meine erste Anlaufstelle, würde ich die Alarmanlage oder die Sicherheitsvorkehrungen generell in meinem Haus einer Überprüfung unterziehen wollen. »Wenn du mir deine Telefonnummer gibst, kümmere ich mich drum und melde mich bei dir.«

 

Sophias Augen weiten sich, beinahe parallel dazu schüttelt sie den Kopf. »Wir kennen uns doch gar nicht!«

 

Ich lache amüsiert auf und zwinkere ihr zu. »Das können wir ja ändern.«

 

Sie schnappt nach Luft, ihr Gesichtsausdruck wird ablehnend, aber gleichzeitig röten sich ihre Wangen.

 

Mein Grinsen vertieft sich, während ich denke, dass dieser Tag entgegen meiner Erwartung gar nicht so beschissen endet, wie ich zunächst angenommen habe.

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