Leseprobe Rising Phoenix: Change
Kapitel 1
Deacon
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»Kann ich dich wirklich allein lassen?« Begleitend zu seiner Frage betrachtet mich Brutus, als hätte er es mit einem höchstens Zehnjährigen zu tun.
Okay, unter uns, der seit Jahren für Rising Phoenix tätige Bodyguard hat insbesondere mit mir so manches durch, ich bin ihm zeitweise ziemlich auf der Nase herumgetanzt. Aber das ist schon eine ganze Weile vorbei, eigentlich schiebt er seit längerem eine recht ruhige Kugel mit mir, wenn man mich fragt.
»Natürlich kannst du das«, versichere ich ihm ernst. »Ich plane ein entspanntes Wochenende, es ist echt nicht nötig, dass du auf Abruf bereitstehst. Oder noch schlimmer, mir die komplette Zeit im Nacken klebst.«
Die Zweifel in Bruce‘ – so heißt der Personenschützer, der für mich mittlerweile ein Freund ist – Miene werden nicht weniger. Im Gegenteil, er runzelt die Stirn und mustert mich kritischer als zuvor.
»Das beleidigt mich, Brutus, wann bitte habe ich dich das letzte Mal ausgetrickst, hm?« Ich mache eine weit ausholende Handbewegung, als er nicht reagiert. »Siehst du, du erinnerst dich nicht mal … also kannst du mir auch vertrauen und mich ein bisschen von der Leine lassen.«
Mein Zwillingsbruder Landon und seine Süße Dakota, die am Küchentisch sitzen und unsere Unterhaltung verfolgen, lachen beide in etwa zeitgleich auf, woraufhin ich böse zu ihnen schaue.
»Da hast du die Antwort, Debbie«, brummt Bruce so trocken, dass Dakota erneut kichert. Wenigstens reißt sich Landon diesmal zusammen. »Wenn nicht einmal dein Doppelgänger dir das abkauft, wie soll ich es da tun?«
Genervt schnaufe ich. »Hör mal, ich treffe mich bloß mit einem Freund in seinem Club. Wir wollen ein bisschen was trinken, über alte Zeiten quatschen, das war’s auch schon. Du kennst den Laden übrigens, als du mich das letzte Mal begleitet hast, warst du zu Tode gelangweilt, weil dort nichts für dich zu tun war.«
Das Flare ist so exklusiv, dass es sich in den vergangenen Monaten zum Geheimtipp für Menschen wie mich entwickelt hat, die gern mal feiern wollen, ohne dass ihnen sofort eine Traube Groupies am Arsch hängt. Was früher das Nonplusultra für mich war, ständig von Frauen umschwärmt zu werden, die mit mir ins Bett wollten und auf eine unvergessliche Nacht hofften, hat inzwischen viel von seinem Reiz verloren. Aus diesem Grund genieße ich die Besuche im Nachtclub meines Kumpels so. Will ich Sex, gehe ich woanders hin, wobei ich das ehrlich gesagt bereits eine geraume Zeit nicht mehr gemacht habe. Bloßes Herumvögeln zum Druckabbau, mich auszuprobieren und dabei auch mal die eigenen Grenzen auszutesten, war früher reizvoll, jetzt ödet es mich nur noch an. Außerdem kann ich mich nicht mal erinnern, wann ich zuletzt eine Frau getroffen habe, die mein Interesse geweckt hat.
Bruce wiegt den Kopf hin und her. »Ich weiß nicht, ich habe wenig Lust auf einen panischen Anruf zu irgendeiner unchristlichen Uhrzeit, weil du dich vor wildgewordenen Groupies mal wieder in die Herrentoilette retten musstest und ich dich dann da herausschaffen soll.«
Augenverdrehend tippe ich mir an die Stirn. »Das ist ewig her und eigentlich verjährt, wie oft willst du mir das noch vorhalten?!« Es nervt mich zunehmend, dass jeder in meinem Umfeld nach wie vor annimmt, ich sei immer noch dieser Deacon, obwohl ich mittlerweile fast das Leben eines Chorknaben führe. Gut, das ist vielleicht ein bisschen dick aufgetragen, doch trotzdem. »Rund um den Globus ficke ich mich nun wirklich schon lange nicht mehr!«
»Das stimmt tatsächlich«, springt Dakota für mich in die Bresche. »Ich würde sagen, gib ihm einen kleinen Vertrauensvorschuss.«
Dankbar lächele ich sie an, ehe ich meinem Bruder einen finsteren Blick schenke. Sollte mein Zwilling nicht der Erste sein, der sich für mich einsetzt? Reichlich unbeeindruckt zuckt er zunächst bloß mit den Schultern, nickt jedoch gnädigerweise.
»Gut, meinetwegen … aber ich folge dir zum Club und warte, bis du reingegangen bist. Und du musst mir versprechen, dass du mich anrufst, falls du doch weiterziehen willst.« Bruce verschränkt die Arme vor der Brust. »Das ist nicht verhandelbar, solltest du trotzdem wieder so eine eigenmächtige Nummer abziehen, reiße ich dir den Arsch auf, haben wir uns verstanden? Du bist lange genug in diesem Business, um zu wissen, dass es riskant ist, durchs Nachtleben zu streifen, ohne jemanden an deiner Seite zu haben, der für deine Sicherheit sorgt. Sollte ich dir diesen Vortrag nochmal halten müssen, weil du dich trotz meiner Warnung in Gefahr begibst, wirst du die Bitte um eine lockere Leine sehr bereuen und die nächsten Monate dafür bezahlen.«
Ich nicke hastig, ehe er es sich noch anders überlegt, und verabschiede mich von Landon und Dakota. Danach schnappe ich mir meine Lederjacke, stopfe mir mein Portemonnaie in die Gesäßtasche und stecke mein Smartphone ebenfalls ein.
Wir verlassen das Haus, ich steige in den SUV, der schon vor der Garage steht, schnalle mich an und starte den Motor. Bruce fährt mir in seinem Fahrzeug hinterher bis auf den clubeigenen Parkplatz und wartet. Er verschwindet erst, als ich die Security passiert und den Club über den Hintereingang betreten habe.
Früher wäre ich wahrscheinlich mit Landon und unserem Frontmann Saint losgezogen, doch seit die beiden in festen Händen sind, bin ich meist allein unterwegs. Das liegt mehr an mir als an ihnen, sie würden durchaus mitgehen, wenn ich sie fragen würde, und das auch ohne ihre Freundinnen. Aber irgendwie ist es nicht das Gleiche wie damals … schlagen wir gemeinsam in den Clubs auf, erwarten die Gäste dort immer noch die drei Typen, die nichts anbrennen lassen, was nervt. Was denken diese Leute? Dass Landon und Saint ihren Partnerinnen bei jeder sich bietenden Gelegenheit fremdgehen? Klar, wir haben es ordentlich krachen lassen, doch wer sich nur ein bisschen mit unserer Familienhistorie beschäftigt hat, sollte es wirklich besser wissen.
Als Single austoben? Ja.
In einer Beziehung? No Way.
Der wummernde Bass eines älteren Rocksongs schlägt mir entgegen, nachdem ich einen langen Flur durchquert habe und im Herzen des Clubs angekommen bin. Die Tanzfläche befindet sich in der Mitte der ehemaligen Fabrikhalle, rundherum sind Stehtische platziert worden, außerdem gibt es ein wenig weiter zurückgesetzt Sitzgruppen in voneinander durch Sichtschutzwände getrennten Nischen. Im Obergeschoss befinden sich die V.I.P.-Lounges für die, denen der allgemein zugängliche Teil des Nachtclubs noch nicht diskret genug ist. Alles ist im Industrial-Style gehalten, was perfekt zur Optik des umfunktionierten Fabrikgebäudes passt.
Ich beschließe, zunächst unten eine Runde zu drehen, mir dabei etwas zu trinken an der Bar zu holen und halte mir die Option, oben zu feiern, erstmal offen. Vorsorglich schreibe ich meinem alten Freund, dass ich da bin und später zu ihm stoßen werde. Er bevorzugt es, sich im abgetrennten Bereich aufzuhalten, nur selten lässt er sich im Erdgeschoss sehen.
Während ich die Theke des Nachtclubs ansteuere, lasse ich den Blick interessehalber über die brechend volle Tanzfläche schweifen und bleibe abrupt stehen.
Wow, wer ist diese Frau?!
Vollkommen gebannt beobachte ich die Kleine, die total selbstvergessen tanzt und ihre Hüften dabei so sexy bewegt, dass ich schwer schlucken muss. Der verflucht heiße Schwung, in dem sie soeben mit dem Po wackelt, lässt mich nochmal schlucken, außerdem reagiert diesmal auch mein Schwanz mit einem leichten Zucken auf sie. Und das alles, obwohl ich sie eigentlich bloß von hinten und lediglich einmal kurz im Profil gesehen habe.
Sie legt den Kopf in den Nacken, schüttelt ihre kupferroten, langen Locken … fuck, ich werde hart bei der Vorstellung, wie ich eine Hand in sie schiebe und sie führe, während sie mir einen bläst … oder wahlweise sie so festhalte und von hinten vögele. Ich schließe die Augen, diese heftige Reaktion auf die Unbekannte erwischt mich unvorbereitet, allmählich habe ich angenommen, ich wäre gegen jeglichen visuellen Reiz immun. Als ich die Lider wieder aufmache, dreht sie sich gerade in meine Richtung, sieht mich direkt an und ich fühle mich, als wäre ich vom Blitz getroffen worden. Mein Herz schlägt unnatürlich schnell, ich muss tief durchatmen und mich einen Moment sammeln. Das ist mir noch nie zuvor passiert! Die hübsche Fremde hält meinem Blick stand, lächelt schließlich und ihre Miene nimmt einen herausfordernden Ausdruck an.
Scheiße nochmal, wer ist sie?!
Wie ferngesteuert gehe ich auf sie zu, je näher ich komme, desto mehr Details erkenne ich. Faszinierend grüne Augen, hohe Wangenknochen, volle Lippen und fuck, als ich unmittelbar vor ihr stehe, entdecke ich süße Sommersprossen auf ihrer Nase sowie ihren Wangen. Sie ist trotz ihrer High Heels schätzungsweise fünfzehn bis zwanzig Zentimeter kleiner als ich und muss den Kopf etwas nach hinten legen, um zu mir aufzuschauen. Der Hauch eines Lächelns umspielt weiterhin ihren Mund, ich hingegen habe mit mal das dumpfe Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben.
Aber wo?
An diese Wahnsinnsfrau könnte … müsste ich mich erinnern, oder?
Ich grabe in meinem Gedächtnis, doch mir fällt beim besten Willen nicht ein, wo ich sie getroffen haben könnte.
Nun schmunzelt sie, löscht die letzte Distanz zwischen uns aus und legt eine Hand auf meinen Brustkorb. Sie reckt sich und bringt ihren verführerischen Mund dicht an mein Ohr. »Tanzt du mit mir?«
O Heilige, ihre leicht kratzige Stimme gibt mir den Rest … oder ist es ihr warmer Atem, der mich bei diesen vier Worten am Hals kitzelt? Vielleicht auch beides? Definitiv gefällt mir ihre offensive Art, meist habe ich in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass Frauen glauben, sie müssten sich verstellen, schüchtern geben und mich sie erobern lassen. Natürlich jage ich gern, doch ich bin kein Kerl, der nicht damit umgehen kann, wenn das Objekt seiner Begierde selbstbewusst ist und weiß, was es will.
Statt einer Antwort schlinge ich die Arme um ihre Taille, Gott sei Dank endet der treibende Rocksong gerade und ein ruhigerer Track beginnt. Die attraktive Fremde verschränkt ihre Hände in meinem Nacken und bettet ihren Kopf an meiner Schulter. Ein zarter Zitronen-Limette-Duft steigt mir in die Nase, vermutlich von ihrem Shampoo. Ihre Brüste an meinem Oberkörper machen es mir schwer, mich zu konzentrieren und nicht total triebgesteuert die Hände auf ihren Hintern zu legen, um sie noch dichter an mich zu pressen.
Die starke, körperliche Anziehungskraft, die sie auf mich ausübt, ist komplett verrückt. Ich habe in den vergangenen Jahren in sexueller Hinsicht wahrscheinlich so ziemlich alles erlebt, aber das hier ist trotzdem neu und Shit, das macht mich nervös. Viel zu sehr. Fuck, ich bin Deacon Ashby, zweiter Frontmann der derzeit wohl angesagtesten Rockband Kanadas, ich werde nicht nervös! Nie! Klingt im ersten Moment vielleicht etwas dick aufgetragen, doch an das letzte Mal, dass mich eine Frau so aus dem Konzept gebracht hat, kann ich mich tatsächlich nicht erinnern.
»Kennen wir uns?«, raune ich ihr zu.
Lachend und mit einem übermütigen Funkeln in den Augen schaut sie zu mir auf. »Was noch Abgedroscheneres hattest du nicht auf Lager, Deacon?«
Dass sie weiß, wer ich bin, überrascht mich grundsätzlich nicht. Nur dass sie mich nicht für Landon hält, denn die meisten Menschen, die nicht ständig mit uns zu tun haben, haben Probleme, uns auseinanderzuhalten. Insbesondere den Groupies ist es oft auch egal, ihnen reicht die Chance, mit einem Zwilling zu vögeln. Ich ermahne mich, nicht zu viel hineinzuinterpretieren, wahrscheinlich hat sie sich einfach gedacht, dass Landon garantiert nicht solo durch Clubs streift und mit anderen Frauen so auf Tuchfühlung geht. Es ist allgemein bekannt, wie glücklich er mit Dakota ist.
Ich verneine mit einem Kopfschütteln und grinse. »Mir ist klar, wie bescheuert das klingt, aber ich habe das Gefühl, dich schon einmal gesehen zu haben. Verrätst du mir deinen Namen?« Langsam neige ich den Kopf, sichere mir dabei ihre volle Aufmerksamkeit. »Bitte?«, schiebe ich fragend hinterher.
»Luna …«, antwortet sie nach kurzem Zögern. »Luna Ford.«